Jetztzeitneurosen

Kaleidoskop

 

„Niemals“. Dieses Wort ist sofort wieder fort, wenn der Wind eine Brise bläst und mein Standpunkt ein Punkt aus Sand ist. Dann falle ich aus dem Niemals in ein Alles, das sein könnte. Konjunktive sind gefährliche Höllenhunde, weil sie drei Köpfe auf ihren muskulösen Hälsen tragen und jeder dieser Köpfe Zähne besitzt, die auf differenzierte Art und Weise Schmerzen bereiten können. „Niemals“. Dieses Wort ist die perfekte Anekdote, weil es den Gedanken in einen unbedingten Wunsch des Schicksals transformiert und dabei lächelt wie Marylin Monroe am 4. August 1962. Gleich einem Splitter in Aphrodites weißem Marmorbusen, der sich entzündet und mit violetten Linien die blauen Adern vergiftet, steckt dieses Wort in unseren Köpfen und versucht kategorisch auszuschließen, was wir uns voll Sehnsucht wünschen. Mit einem Skalpell schneide ich auf dem Seziertisch der schlaflosen Nächte die Träume und Ängste in feine Streifen des Möglichen, stecke sie in Schubladen, etikettiere sie mit dem Sekret meines erschlaffenden Penis und bitte Gott für den nächsten Tag um eine staufreie Autobahn. Es geht um Späne und Anabolika. 36 lässt sich durch zwei teilen und ergibt zwei Leben eines Teenagers. „Niemals“ reimt sich auf „jemals“ und „damals“, die Schnittmenge aus lieferbarem Suizid und Freud´scher Sexualpolitik. Das gleiche Bild aus jeder Perspektive betrachtet ergibt ein kubistisches Portfolio aus Glasscherben, denn nur das Spiegelbild erschafft ein Sexsymbol.

 

Gerne würde ich Gott fragen, ob er Angst vor einer Rasierklinge hat.

 

(2013)


Die Last der Binärcodes

 

Das einsame Stundenkarussell dreht sich zwischen den durchsichtigen Wänden einer maroden Zeiteinheit, gefangen zwischen verlebten Vergangenheiten und enterbten Zukünften, und spreizt nonchalant diese zwei wuchtigen Schenkel, um mir Augenblicke entgegen zu hauchen, die schneller verblinzelt sind als die Orgasmen eines wollüstigen Amöbenpärchens. Die Ingredienzien dieser sublimen Selbstinszenierung sind banal, radikal und untriumphal. Binäre Strukturen, Kinder pragmatischer Programme und logischer Logistik, entziffern mir das Schwarze vom Weißen, moralisieren das Gute vom Schlechten, ästhetisieren das Schöne vom Hässlichen und realisieren das Echte vom Falschen. Unterscheidungsnebel. Traumata der Logik. Dechiffrieren, sezieren, auseinanderdividieren, kategorisieren, katalogisieren, abstempeln, mit Etiketten versehen und in Schubladen stecken. Beschäftigungen meines vielbeschäftigten Gehirns, das die Neuronen durch seine Windungen schießt wie eine tollwütige Artemis ihre Pfeile in einer Neumondnacht. Spinnen auf Kokain bauen andere Netze als Spinnen auf Opium. Das ist mir bewusst, während ich meine Netze in jedem Zustand gleich spinne und mich schäme Kafka´s Vorliebe für Ungeziefer zu verstehen. Entrückung. Schuld. Atlas. Der Himmel wiegt mehr als sechs Fuß Erde über meinem Haupt.

 

Wie kann ich einen Befehl generieren, der es mir erlaubt diese Welt ernst zu nehmen?

 

(2013)