MeDuSalem-Komplex


I. Rudiment

 

Du hast mich beim Vorübergehen angeblickt und geknickt senktest Du Deinen Kopf, um eine neue Zigarette anzuzünden. Sie glühte eifrig - wie ein Kaminfeuer an dem Menschen sich wärmen können, wenn ihnen danach ist. Jetzt sind wir in der Gegenwart angekommen und nervös zitierst Du Deinen Locken ihre Ordnung und schwebst mit Deinen Gedanken zu einem Ort, der ungefährlich wäre, wenn ich dort nicht stünde und behände Fragmente zwischen Deine Wände schmisse. Doch Du heulst nicht. Sammelst geduldig groteske Unnahrbarkeiten aus den vielen Ritzen Deiner treuen Traumoase und fegst mich flink in namenlose Wirklichkeiten. Es war schließlich Dein Traum zu leben und nicht meiner zu sterben, der uns verband als wir kurz vor einem Lächeln standen. Fragend blickten wir das Lächeln an und dann hättest Du eine Antwort gewusst, wenn meine Blicke nicht leere Seiten erbrochen hätten. Angst war die Mutter Deiner Sehnsucht als Du die Schlüssel zu Deinem Wagen nahmst. Du wolltest, dass ich Dir folge - doch nur ein Stück. Du wolltest ein aufrechtes Wort von meinen Lippen und bekamst die Trauer meiner Augen. Die kalte Luft, die ihnen folgte, ließ dich zusammenzucken, so dass Du eine Wimper verlorst. Ein anderer kam herbeigesprungen und fing sie bevor sie auf den Boden prallte und es hallte schräg über den Asphalt „ich liebe Deine Tränensäcke“. Konsequent ist nur der Regen, der unsere Wege massiert und doch erhebst Du den Anspruch meine Sonne zu sein. Und wäre dort nicht das jahrtausendalte Eis, das bisher niemals schmolz, hättest Du mehr Mut gehabt.

 

(2014)


II. Kühlschrankgeständnis

 

„Hi Schatz,

 

in der Gefriere meiner Seele habe ich noch etwas tiefgekühlte Liebe für Dich aufbewahrt, sie ist konserviert und in kleine praktische Häppchen geschnitten, so dass Du sie portionieren kannst wie Du willst. Wenn Du sie aufwärmst und mit etwas Pfeffer und Salz würzt, dann schmeckt sie fast wie ein erster Kuss oder eine erste Berührung in einer ersten Nacht. Hast du genug, dann friere den Rest ein und nimm dir etwas, wenn Du wieder Hunger bekommst. Frische Liebe ist leider ausgegangen.“

 

(2014)


III. Auflösen

 

„Entferne Dich“, sagte ihr Blick mit klarer Linie und er spürte wohl, dass er nicht hier sein sollte, wollte jedoch keine Sekunde verlieren sich in den grünen Schlieren ihrer Augen zu verfangen. Und tatsächlich hatte er sich in ihnen verfangen und blieb steinern stehen, sein Verstand wollte gehen, doch der Geschmack von Unerreichbarkeit machte ihn trunken. Je länger er stand und schaute, um so höher stieg die Abneigung in ihr empor und ergoss sich in angewiderte Blicke, die sie ihm mit kalter Miene entgegenschleuderte. Er fing sie elegant auf und legte sie behutsam in die Garderobe seiner Erinnerung. Wie konnte er auch ahnen, dass die dumpfen Tropfen so lange nachhallen würden in den eigentlich bescheidenen Räumen seines Gedächtnisses. Sie würde ihn vergessen haben, sobald sein Anblick ihre Blicke nicht mehr störte und schon bald würde die Empörung fach-frauischer Eleganz gewichen sein. Ihr Körper ging direkt an ihm vorüber und ihre Algen flossen langsam durch ihn hindurch als ob kein Molekül seines Wesens Bestand hätte und so bröckelte seine Präsenz bis er sich nicht mehr sicher war, ob er wirklich war oder nicht doch nur die Illusion eines Schattens ihres Blickes. Die Erinnerung blieb als taubes Gefühl auf der Haut, weshalb er es sich zur Gewohnheit machte, sich in den linken Unterarm zu kneifen, wenn sich fremde Blicke in seinen Augen verirrten.

 

(2014)


IV. Alter Ego

 

Du musst wissen, dass Du nur ein Statist bist. Wie die anderen. Eine Verzierung um meine Geschichte zu schmücken. Ich bin, weil das so ist. Du bist, wie alle, weil ich bin. Suche in den Büchern nach anderen Helden, nach anderen Gaunern und Halunken. Du wirst nur einen Protagonisten finden, einen Mittelpunkt jeder Geschichte. Und das bin ich. Schreit auch das Innere nach außen auf ein Wir hinaus, so kann ich doch keine Illusion küssen und küsse deshalb mich selbst. Meine Galaxie überstrahlt die Heiligkeit der Momente und all der frischen Zweisamkeit. Selbst die Reklametafeln, die ich so verabscheue sind nur für mich inszeniert. Sie sind da, um meinen Groll heraufzubeschwören, um aus mir einen Menschen mit einer Anti-Attitüde zu machen, der auf anarchistische Weise seine Welt verpönt. Mein Fleisch hat viele Frauenkörper geliebt und mein Herz um viele Frauenherzen geweint, um meiner Erzählung die dramatische Note zu geben, die sie lesenswert macht. Selbst meine treuen Freunde, die Zigaretten und die Alkoholika, sind lediglich Requisiten, um meiner Tragik das gewisse Etwas zu verleihen. Ich weiß, dass Du das nicht hören willst. Du liegst neben mir. Deinen verschwitzten Busen drückst Du an meine Brust und Dein Arm umschlingt meine Schultern als würde ich entgegen der Schwerkraft auf die Zimmerdecke fallen, wenn Du mich nicht halten würdest. Du genießt ein Wir, was ich durch Deine geschlossenen Augenlider sehen kann und versuchst es krampfhaft festzuhalten. Auch ich versuche mich eindringlich in ein Wir hineinzufühlen, während ich mit der rechten Hand Deine braunen Locken um meine Finger wickle. Und der Gedanke an diese Absurdität ist schön, doch enttäusche ich Dich nur in meinen Gedanken, bleibe stumm und küsse Deine blasse Stirn. Ein Lächeln säuselt um Deine Lippen und ich frage mich, wie lange Du diese Rolle in meiner Komposition einnehmen wirst, in der Du Dich sichtlich wohl fühlst. Irgendwann wirst auch Du von der Bühne gehen müssen, dann werden neue Statisten auf die Bühne stürmen und mir Schmerzen, Freude oder gar Langeweile bereiten. Ich möchte mich für Deine Obsession bedanken, schweige diesen Dank in mich hinein und sehe, dass ich auch Dich wegschmeißen werde. Doch wird diese Selbstkasteiung der Wahrheit nicht gerecht, so habe ich diese Seiten nicht geschrieben. Ich bin nur der Protagonist, der der Feder einer anderen Hand entsprang, und mit analytischem Blick seine eigene Geschichte liest. Und mir wird klar, dass ich erst mit meinem Tod Deinem Schatten Schlaf schenke und Dir ein Leben lassen kann, das anderen gehört. Vor einigen Augenblicken hast Du mich noch in Dich aufgenommen, hast dich verzweifelt mit mir zu vereinen versucht. Denn wenn die Körper so verschlungen sind, müssen sich ja auch die Seelen berühren. Das hat mir Dein zitternder Körper erzählt. Doch dann habe ich in Deine Augen geschaut und die Sterne erblickt und mir wurde bewusst, dass sie nur am Himmel leuchten, um mich sehnend zu machen. Und die vielen Sterne, die ich in den etlichen Nächten nicht gesehen habe, schienen nur, um nicht von mir gesehen zu werden. Der Fatalismus des Egos trennt mich davon ein Teil zu sein, trennt mich davon ein Teil von Dir zu sein und ich lege meine Hand auf Deine Hüften, drücke Deinen Körper an mich und flüstere Dir ins Ohr: „Danke, dass Du für mich leuchtest.“ Traurig bin ich stolz den Mut zu haben, meine Egozentrik nicht zu verneinen.

 

(2013)


V. Trabant

 

Der letzte Wink von Deinen Wimperaugen (Klimper! Klimper!),

ein Abschiedswink. Adieu! Und

ich, lächelnd: bis bald, aber…

aber es war schon lange, lange vorbei bevor…

bevor der Himmel an unserer Seele kratzte.

(Mit seinen scharfen, spitzen Klauen!)

 

Wir haben unsere Geschichte in Staub gemeißelt.

Es wird nichts bleiben. Kein Lied. Kein Gedicht. Kein Wort.

A last farewell. Das letzte Hundegebell.

Denn sie wissen nicht was sie bellen.

So stolziere ich räudiger Hund durch die leeren Gassen,

schneide der Erinnerung Grimassen

und knurre gegen Träume.

Im Labor unserer Zweisamkeit berechne ich schließlich den

Algorithmus unserer Liebe.

 

Es ist eine einfache Formel:

You hurt me, baby! We burnt us, baby!

Lass uns die Erinnerung beerdigen.

Ficken wir uns ein letztes Mal die Poesie aus den Herzen?

Oder beten wir uns zumindest geil?

Unserem Gott zuliebe? Ein Gebet in Versen?

 

„Ich träume von unseren Leichnamen,

wie sie sich lächelnd liebkosen. Unterirdisch.

Weltextrahiert. Wertkastriert. Ohne Hämorriden.

Und ohne Fragen. Ich habe Deinen Engel gesehen und

Ihn verstümmelt. Wie es Liebende tun. Ich weidete ihn

aus.“ Das ist nichts Neues.

 

Trotzdem nahmst Du meinen Schwanz.

Weil Deine Seele eloquenter sein wollte als die Uhren.

Vermeintliche Macht verträumte sich die Zeit in Liebkosungen.

Aber wir hatten keine Macht. Waren Kinder.

Krüppel im Herzen,

die ohne ihre Krücken durchs Leben humpelten.

 

Du hast den Schmerz noch einmal betont

mit Deinen letzten Worten.

Ich hätte ihn fast vergessen.

Doch ich werde Deine Hölle ausbaden. Dir zuliebe.

Bis ich sterbe. In dem Magma unserer Erinnerung.

In dem Magma meiner berechneten Liebe. Einseitiges Menetekel. Wunderbar bedeutungslos.

 

Adieu! Ein Abschied wie eine Sommerbrise… von uns. Schon immer… bedeutungslos.

 

(2016)